Der Weißdorn - Teil 2

sanfte Kraft für Herzensangelegenheiten

Er trägt seinen Namen zu Recht der Weißdorn, denn zahlreiche Dornen säumen seine Äste und er möchte von uns besondere Achtsamkeit beim Ernten seiner Gaben. Auch als Zaundorn oder Heckendorn bekannt, zeigt er uns in seinem Namen die Wichtigkeit in seiner Funktion als Hecke. Neben Schlehe und Heckenrose ist er einer der wichtigen Sträucher des sogenannten „hag“. Ein „hag“ ist ein von einer Hecke eingefriedetes Gelände. Und die Hecke sollte idealerweise undurchdringlich sein, so dass gefährliche Tiere oder gar garstige Dämonen nicht ohne weiteres ins Dorf gelangten. Sein Holz wird bei magischen Ritualen und bei Schutzräucherungen eingesetzt. Die pflanzenkundige Frau (es gab natürlich auch kundige Männer) war bekannt als „hagezusse“ oder „hagazussa“ (modern: Hexe), was im Althochdeutschen so viel bedeutet wie „Frau, die hinter den Hecken hervorschaut“. Irgendwann später, als die Zeit der Hexenverfolgung einsetzte, wurde die „hagezusse“ zu einer bedrohlichen Giftmischerin abgestempelt. Der Hag war also nicht nur Abgrenzung zur Wildnis, sondern auch die natürliche Apotheke der Dorfbewohner und der Weißdorn eine heilkräftiger Strauch darin. Zugegeben, die Entdeckung seiner Heilkräfte ließ auf sich warten. Hildegard von Bingen schrieb ihm keinerlei Bedeutung zu und Dioskurides hatte ihn zwar in der Antike eingesetzt, aber „nur“ um Durchfall zu lindern oder Dornen aus dem Körper zu ziehen. Erst der irische Arzt Dr. Green hat Mitte des 19.Jahrhunderts den Christdorn als Mittel zur Stärkung der Kontraktionsfähigkeit des Herzens und zur Verbesserung der Durchblutung der Herzkrankgefäße sowie des Myokards entdeckt.

Es gibt unzählige Weißdornarten und alle stehen sie uns heilkräftig zur Seite. In Deutschland sind drei Arten besonders vertreten: der eingriffelige, der zweigriffelige und der großkelchige Weißdorn. Alle drei sind sich äußerlich sehr ähnlich und können arzneilich eingesetzt werden, so dass ich die feine Unterscheidung gerne kundigen Botanikern überlasse. Die Beeren schmecken fürwahr nicht so spektakulär, wie z.B. die Schlehenfrüchte, aber ihre mehlige Konsistenz gibt dem Weißdorn folgende weitere Namen: Mehlbeerbaum, Mehlkübeli, Mehlfässchen oder Mehldorn.

In der Phytotherapie werden die Blätter, die Blüten und Früchte verwendet – gerne in einer ausgewogenen Mischung. Das Besondere an Weißdorn Zubereitungen ist, dass wir diese über einen langen Zeitraum einnehmen können. Bei den meisten Pflanzen handelt es sich um arzneiliche Kuren, die maximal 6 – 8 Wochen umfassen. Der Weißdorn gehört zu den herausragenden Ausnahmen, so dass er sich daher auch über einen längeren Zeitraum wunderbar als sanftes Tonikum für unser Herz eignet.

Der Weißdorn, das weiß jedes Kind, stärkt Herz und Nerven ganz geschwind.“

(volkstümlicher Merkspruch)

Einer seiner Hauptwirkstoffe sind die sogenannten Flavonoide, die für die Farbgebung der Pflanzen verantwortlich sind. Diese wirken nachgewiesenermaßen freien Radikalen entgegen, wirken präventiv in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und haben eine antibakterielle bzw. antivirale Wirkung. Zudem sind Flavonoide hitzestabil, d.h. sie gehen beim Kochen nur geringfügig verloren.

Weissdorn Collage

Es gäbe noch viel über den Weißdorn zu berichten. Von seiner stacheligen Schönheit, seinen leuchten roten Beeren, seinen herausragenden Fähigkeiten als Schutzpflanze und Herzens-Tonikum. Man könnte über jede Pflanze, Strauch oder Baum ein Buch schreiben. Aber vergessen wir eines nicht. Der Wald ist unsere Apotheke und ein mächtiger Heiler, aber er ersetzt nicht die Zuwendung uns selbst gegenüber. Die Qualitäten des Herzens sind Mitgefühl und Liebe. Bedingungslose Liebe ist der größte Heiler und der Weißdorn ebnet uns den Weg dahin, aber er geht ihn nicht für uns.

Schauen wir genau hin. Fühlen wir hin was sich in uns und um uns tagtäglich zeigt. Unsere Herzen leiden. Sie leiden an der Ignoranz, an der Achtlosigkeit, an der Schnellebigkeit und Hektik des Alltags und an den immer größer werdenden Leistungsansprüchen in unserer Gesellschaft. Das Herz leidet an Ängsten, die auch über Medien massiv und beständig geschürt werden. Es leidet an alten Verwundungen, Minderwertigkeitsgefühlen und unter traumatischen Erfahrungen. Es leidet an der Entfremdung des Menschen von der Natur. Es leidet an Einsamkeit und Isolation. Es leidet an Freudlosigkeit und alltäglicher Tristesse. Es leidet an Zwang, Ausgrenzung und verbaler wie tätlicher individueller und kollektiver Gewalt. Es leidet unter den unzähligen unheilsamen Umständen, die unseren Alltag durchdringen und die wir ertragen und mittragen. Schauen wir hin und nicht weg. Die Heilung dieser Welt beginnt in der Heilung des Herzens - in jedem Einzelnen von uns.

„Wenn nicht ich, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann dann?“, heißt es im Zen Buddhismus so treffend.

Kosan

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